7 Transformation: Es dreht sich
Permanenter Perspektivwechsel wie in Trance: Es ist Zeit, die eigenen Ansichten zu überdenken.
Audioguide
Was geschieht in unserem Kopf, wenn wir das sich beständig drehende Gemälde betrachten? In dem Moment, in dem das Auge sich an einer figürlichen Vorstellung festklammern möchte, zwingt das Drehen dazu, die eigene Ansicht, den Standpunkt neu zu überdenken. Lisa Stöhr hat das „Auf-den-Kopf-Stellen“ ihres berühmten Lehrers Georg Baselitz weitergedacht und lässt ihre Werke rotieren: Bereits während des Schaffensprozesses dreht sie immer wieder ihre Bilder und arbeitet mit neuen Perspektiven weiter. Mit dem beständigen Drehen der fertigen Arbeiten – mit dieser „Allansichtbarkeit“ – erzeugt sie permanent neue Assoziationen … beleuchtet unterschiedliche Blickwinkel … sorgt für eine Simultanität der Standpunkte. Es ist ein Infragestellen vorgegebener Ordnung und ein Zulassen spontaner Empfindungen. Malen und Betrachten mit Nähe zur Trance.
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Idee und Umsetzung:
Lisa Stöhr
Kontakt zum Künstler:
Straße PLZ & Ort:
Hirtengasse 11 96317 Kronach
Fotografen:
Karl-Heinz Wagner, Falk Bätz, Max Rucker, Bertram Schneider, Sonja Pfeilschmidt, Christian Köferstein
Typ:
Light Art
Hintergrundinformationen:
5 Fragen an Lisa Stöhr
- Was macht dein Kunstwerk zu einem LICHTBLICK und Mutmacher?
Es geht um das Ändern festgefahrener Ansichten aus einem anderen, neuen Seherlebnis heraus. Es geht um Simultaneität des Sehens und der Gedanken. Und mit der Beleuchtung, dem Licht soll erreicht werden, dass die Gedanken in hellere Bahnen gelenkt werden. Das schafft Zuversicht.
- Wie kam dir die Idee zu deinem Kunstwerk?
Die Idee resultiert aus dem Entwicklungsweg meiner Malerei während der letzten 15 Jahre. Eine Entwicklung an die Grenze zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion. Ich habe meine Bilder immer wieder gedreht. In letzter Konsequenz waren die Ecken eines quadratischen Formats nicht mehr integrierbar. Dadurch hatte ich den Wunsch, auf Scheiben zu malen. Einfach Ecken weglassen. Die Allansichtbarkeit meiner Bilder kann nur durch die Transformation in einen kreisförmigen, drehbaren Untergrund aufrechterhalten werden. Die Drehbarkeit erlaubt ein Vor und Zurück, ein Beleuchten unterschiedlicher Standpunkte. Dreht sich das Bild im Gleichmaß kommt es zu Überlagerungen. Die offensichtlichen Rückbezüge in gesellschaftliche, ökonomische Entwicklung macht diese rotierende Malweise, die ebenfalls am drehbaren Untergrund ausgeführt wird, zu einer zeitgenössisch möglichen.
- Welche Emotionen würdest du gerne mit deinem LICHTBLICK auslösen?
Ziel ist das Loslösen von allzu festen Standpunkten und Sichtweisen. Optisch und psychisch. Meine Malerei ist wie ein Gedankenfluss. Andeutungen ins Gegenständliche. Wie Bilder im Traum. Ein Wechsel der Ebenen: psychisch, optisch, Information. In dem Moment, in dem es sich dreht, verlässt es den Moment, in dem man es festlegen kann.
- Welchen Stellenwert hat Licht generell in deinem Schaffen?
Licht spielt immer in der Malerei eine große Rolle. Du arbeitest mit Hell-Dunkel-Kontrasten, das ist einfach ein wichtiges Prinzip in der Malerei. Ich male hauptsächlich schwarz-weiß.
Mein Ziel der Simultaneität, der Allansichtbarkeit wird nicht allein durch das Drehen erzeugt und induziert. Licht spielt dabei auch eine große Rolle. Man hat herausgefunden, dass Lichtentzug genau wie extremer Lichteinfall und Trance gleiche innere Bilder erzeugen, weil gleiche neurologische Prozesse in Gang kommen. Hierauf fußt auch meine Malerei.
Wie aus den Forschungen William Blakes über die Felsenbilder der San (1000-2000 Jahre alte Felsmalereien von den südafrikanischen Drakensbergen) hervorgeht, wurden diese aus der Trance heraus entwickelt. Die gleichen Punktemuster wurden schon 20.000 Jahre zuvor in den europäischen Höhlenmalereien angewendet, wie z. B. in den Höhlen von Pech Merle. David Louis Williams forschte über den Zusammenhang der entstandenen ähnlichen Formen und Motive der an unterschiedlichen Orten und mit Abertausenden von Jahren zeitlichem Abstand entstandenen Gebilde. In einem Londoner psychiatrischen Institut wurden durch ein von Dominique Fitch entwickeltes Gerät, bei dem Lichtblitze über eine Brille ausgesendet werden, pulsierende farbige Tropfen und fischernetzartige schwarze Raster bei dem Brillenträger induziert, die bei geschlossenem Auge eine Art bewegliches Schachbrettmuster in Schwarz und Weiß ergaben. Diese wurden auch z. B. in den Malereien der Höhlen von Pech Merle entdeckt. Paradoxerweise erzeugt ein stundenlanger vollkommener Lichtentzug die gleichen aufblitzenden Zickzacklinien und Wolken aus Punkten und Rastern wie die gezielte punktuelle Lichtbestrahlung des Auges mit der Brille.
Diese Forschungen ergaben, dass bei Trance- und Migränezuständen, sowie bei längerfristiger vollkommener Dunkelheit, ähnliche innere Bilder und Muster entstehen. Ich entwickelte über Jahre hinweg eine Arbeit mit Wasserflecken und die Gehirnrinde anreizenden netzartigen Strukturen, welche Bilder direkt aus dem Gedächtnis auf den Bilduntergrund transformieren.
Die dabei entstehende Simultaneität durch Überlagerung und Transformation wird durch das Drehen des runden Formates verstärkt. Ein lineares Mehrbildersehen wird hierbei abgelöst und auf eine Fläche integriert.
- Wie hilft uns Kunst durch heutige Zeiten?
Ich interessiere mich vor allem für authentische Kunst: Kunst, die dafür sorgt, dass Menschen zu sich selber kommen können, durch das Einsteigen in andere Welten. Man kann die Tiefen seiner Welt ausloten, bleibt nicht an Oberflächlichkeiten hängen, man kommt weiter.
Das hat was mit Loslassen zu tun, man kommt los von Alltagsproblemen, man findet sich.
Und schließlich ist Kunst oft mit handwerklichen Sachen verbunden, die uns einfach das Leben schön machen.